pte20030107005 Politik/Recht

Strafprozess nach sarkastischem Online-Posting

T-Online soll Beweisdaten illegal gespeichert haben


Münster (pte005/07.01.2003/08:05) Ein Münsteraner muss morgen, Mittwoch, vor dem Amtsgericht seiner Stadt erscheinen. Er hat gegen einen Strafbescheid über 1.500 Euro Rechtsmittel ergriffen und kann nun seinen Standpunkt zum Vorwurf der Billigung von Straftaten darlegen. Im Diskussionsforum zu einem im Juni 2002 bei telepolis http://www.heise.de/tp erschienenen Artikel über ein Massaker an 5.000 Taliban http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12758/1.html hatte ein unter dem Nickname "Engine_of_Aggression" schreibender Unbekannter das Massaker gebilligt. Der nun im Fadenkreuz der Justiz stehende User hatte in einer Weise auf diesen Beitrag reagiert, die er selbst als "sarkastisch und ironisch überspitzt" bezeichnet.

Er schrieb dabei unter anderem: "Engine_of_Aggression, Du hast völlig Recht: Die Aktionen vom 11.09.2001 waren ein hervorragender Schritt, um das Böse in dieser Welt auch in unserer überkritischen Zeit auszureißen. Danke für Deine klaren Worte! Ach ja: Wer Sarkasmus findet, der/die möge ihn bitte weiterverwenden." http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1916234&forum_id=30631 Was folgte, war eine anonyme Anzeige per E-Mail und ein Strafbescheid über 1.500 Euro.

Der Beschuldigte ist sich keiner Schuld bewusst, sieht er sich doch als absoluten Kriegsgegner. Außerdem verweist er auf "illegale Beweismittel". Der Heise Verlag, Herausgeber des telepolis-Magazins, war vom Gericht gezwungen worden, die IP-Daten des Postings herauszugeben. Aufgrund der vom Provider T-Online gespeicherten Verbindungsdaten konnte der Computer des Münsteraners als Absender eruiert werden. Doch T-Online hätte die Verbindungsdaten gar nicht speichern dürfen, meint der Beschuldigte und beruft sich auf eine Reihe von Rechtsexperten. Nach dem deutschen Teledienstedatenschutzgesetz dürfen Verbindungsdaten vom Provider nur zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Der genutzte T-Online-Anschluss wird aber auf Flat-Fee-Basis bezahlt, die Speicherung von Verbindungsdaten ist also für Abrechnungszwecke nicht erforderlich.

Der Prozess wird sowohl von Seiten der Datenschützer als auch der Verfechter freier und auch sarkastischer Meinungsäußerung gespannt verfolgt werden. Der Justiziar des Heise Verlages, Jörg Heidrich, erklärt in einer Aussendung, dass der Verlag im vergangenen Jahr bei zehntausenden von Postings nur drei Mal von Gerichten zur Herausgabe von Daten gezwungen worden ist, und meint: "Die Anschuldigungen gegen Herrn Holger Voss empfinde ich persönlich als rechtlich haltlos. Würden wir hier eine strafrechtlich relevante Äußerung sehen, so hätten wir den Beitrag gelöscht, was jedoch bewusst nicht geschah. Insofern wünschen wir Herrn Voss gutes Gelingen bei der Verhandlung am Mittwoch und erwarten einen Freispruch."

Termin: Mittwoch 08. 01. 2003, 9 Uhr, Amtsgericht Münster, Gerichtsstr. 2, Raum 185, 48149 Münster

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