pte20060812008 Sport/Events, Politik/Recht

"Liberalisierung der Sportwetten in Deutschland ist nicht aufzuhalten"

Exklusiv-Interview mit dem Hamburger Medienrechtler Ralph Oliver Graef


Nur eine Pause von bwin in Deutschland?
Nur eine Pause von bwin in Deutschland?

Wien/Hamburg (pte008/12.08.2006/13:50) Kein angenehmes Klima erfährt derzeit der Sportwettenanbieter bwin http://www.bwin.de in Deutschland. Das Regierungspräsidium Chemnitz hat am Donnerstag bwin das Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten sowie die Werbung hierfür untersagt (pressetext berichtete: http://www.pte.at/pte.mc?pte=060810022 ). Wurde damit die Türe für alle privaten Wettanbieter in Deutschland zugeschlagen oder kommt es doch ganz anders? pressetext hat mit dem Hamburger Medienrechtler Ralph Oliver Graef von der Anwaltskanzlei Unverzagt von Have http://www.unverzagtvonhave.com in einem Exklusivinterview über die Entwicklungen der letzten Wochen gesprochen und über mögliche Zukunfts-Szenarien nachgedacht.

pressetext: Welche Quote würden Sie anbieten, dass bwin im Jahr 2007 in Deutschland Wetten anbieten darf?
Graef: Ich fürchte die Quote läge bei null Prozent. Im Rahmen der Übergangsfrist des BVerfG zum 31. Dezember 2007 wird sich am aktuellen Verhalten der staatlichen Sportwettenanbieter nichts ändern. Die Bundesländer haben im Jahr 2005 aus Glückspielsteuern und Gewinnabführungen rund 4,4 Mrd. Euro (!) eingenommen, darunter war zwar nur ein geringer Anteil aus Sportwetten und der Großteil aus Lottoeinnahmen. Aber kein Monopolist gibt freiwillig seine Monopolstellung auf. Dies wird sich erst ändern, wenn die EU regulierend eingreift, bis dahin bewahren sich die Bundesländer ihre üppigen Einnahmen und bilden daraus für den Fall einer Deregulierung schon jetzt Rücklagen für etwaige Schadensersatzklagen der privaten Anbieter.

presstext: bwin spricht nach dem Verbot von privaten Sportwetten von "beispielloser Wettbewerbsverhinderung". Ist den Behörden im Zuge der ganze Causa ein Denkfehler unterlaufen?
Graef: Es gibt verschiedene Denkfehler. Die Exekutive in Form der Behörden kämpft einen verzweifelten Kampf gegen die unausweichliche Liberalisierung des Sportwettenmarktes und für die Beibehaltung ihres Monopols. Dieses Monopol lässt sich aber aufgrund der europarechtlichen Vorgaben und aufgrund der bisher ergangenen Rechtsprechung insbesondere des EuGH, aber auch des BverfG und der nachgeordneten Instanzgerichte in Straf-, Zivil- und Verwaltungssachen nicht mehr halten.

Die Einheitlichkeit der Rechtsauslegung ist durch Alleingänge wie den des Freistaates Sachsen gefährdet. Schon jetzt haben diverse Strafgerichte die Anwendbarkeit von § 284 StGB auf die Vermittlung von Wetten innerhalb der EU wegen Verstoßes gegen die im EU-Recht normierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verneint (siehe LG Hamburg, LG Köln, LG München, etc.). Diverse Verwaltungsgerichte (siehe VG München, VG Köln) haben entschieden, dass Sportwettenanbieter mit EU-Lizenzen grundsätzlich auch auf dem deutschen Markt tätig werden dürfen.

Das Problem ist also, dass hier der "Bock zum Gärtner" gemacht wird, wie man so schön sagt. Jürgen Staupe, der Staatssekretär im sächsischen Innenministerium, der für die am 10. August 2006 ergangene Untersagungsverfügung gegenüber der "betandwin e.K." und der "bwin.com" verantwortlich zeichnet, sitzt gleichzeitig im Aufsichtsrat der Sachsenlotto, denen ODDSET gehört. Es verfügt also einer der Profiteure einer Monopolisierung des staatlichen Anbieters ODDSET - nämlich der Freistaat Sachsen - die Schließung des privaten Anbieters und grössten Konkurrenten bwin. Chapeau, das erinnert ein wenig an Präsident Putin in Russland.

pressetext: Welche Chancen haben private Wettanbieter wie bwin daher auch in Zukunft in Deutschland Wetten anzubieten und zu vermitteln?
Graef: Ich denke gute Chancen aufgrund der von der EU-Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahren insbesondere gegen Deutschland. Da die Europarechtswidrigkeit von staatlichen Monopolen bereits mehrfach festgestellt worden ist, wird es kommen wie auch in anderen Bereichen, die einst staatlich monopolisiert waren, wie etwa das Postwesen, die Telekommunikation oder der Schienenverkehr. Machen wir uns nichts vor, es geht den Bundesländern nur um die Einnahmen aus Glücksspielsteuern und Gewinnabführungen. Die Suchtprävention ist ein vorgeschobenes Argument. Sportwetten haben für die große Mehrheit der Spieler reinen Erholungs- und Unterhaltungscharakter.

Natürlich werden die Landeskassen ohne das Monopol leerer sein, aber spätestens seit der Gambelli-Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist klar, dass fiskalische Interessen vom Staat nur verfolgt werden dürfen, solange sie "erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund" der Restriktionen sind.

Außerdem gibt es schon heute eine Vielzahl von ausländischen Wettangeboten im Internet, die trotz des staatlichen Wettmonopols in Deutschland Wetten anbieten ohne verfolgt werden zu können. Diese Wettanbieter lachen sich doch ins Fäustchen, da ihre Umsätze weiter zunehmen werden. Es gibt nach meiner Auffassung keinen triftigen Grund auf dieser Grundlage private Wettanbieter in Deutschland auszuschließen.

pressetext: Hat es aus Ihrer Sicht Versäumnisse von bwin in den letzten Jahren gegeben, die diese Situation hätte verhindern können?
Graef: Im Gegenteil, ich bin sogar der Meinung, dass die privaten Wettanbieter wie bwin ziemlich viel richtig gemacht haben und ihr Erfolg nunmehr dazu führt, dass die Bundesländer unbequeme Konkurrenten ausschließen wollen. Der Hoyzer-Skandal fand bei ODDSET statt und nicht bei einem privaten Wettanbieter.

Die privaten Wettanbieter sind nach meiner Kenntnis keine "Zockerbuden". Sie arbeiten schon lange mit effektiven Überwachungsmethoden wie z.B. der Registrierung von Kundendaten (unter Angabe von Name, Geburtsdatum, genaue Wohnadresse), der Identifikation des Spielers bei der Ausszahlung von Wettgewinnen, der Nachverfolgung von Zahlungsströmen durch Bekanntgabe der Bankverbindung, des Ausschlusses von Insidern, d.h. von solchen Spielern die an sportlichen Veranstaltungen (beispielsweise als Sportler, Schiedsrichter, Eigentümer oder Funktionär) beteiligt sind und vor allem mit Einzahlungslimits für Spieler (1.000 Euro am Tag, 5.000 Euro im Monat) und Wettlimits pro Wette rund 3.000 Euro pro Wette). Dies führt dazu, dass es nach Spiel und Wettquote maximal erzielbare Wettgewinne gibt.

pressetext: Sind die Aktivitäten, die rund um ODDSET in den letzten Monaten gesetzt wurden, ausreichend, um das Monopol vor Gericht aufrechterhalten zu können?
Graef: Nein, nach meiner Kenntnis ist keiner der oben erwähnten Standards, die bei den führenden europäischen Online-Gaming-Anbietern Routine sind, beim staatlichen Anbieter ODDSET angedacht oder gar umgesetzt. Das Alter der Spieler wird nicht kontrolliert. Eine Kundenregistrierung oder Kundenkarte existiert nicht. ODDSET-Wetten können in Deutschland nahezu ohne Kontrolle über ein dichtes, unlizenziertes Vertriebsnetz angeboten werden. Sie können tatsächlich von Shop zu Shop gehen und Wetteinsätze platzieren. Dass die Werbeaktivitäten entsprechend den Vorgaben des BVerfG signifikant eingeschränkt wurden kann ich auch nicht erkennen. Bei der Fussball WM war ODDSET als Sponsor bei jedem Interview im Hintergrund präsent.

pressetext: Welche Rolle spielt die EU? Oft hat man das Gefühl, dass EU-Gesetze das Leben der Bürger bis ins kleinste Detail regeln. Bei diesem großen Thema jedoch nicht. Wie ist diese Situation zu erklären?
Graef: Wir leben eben nicht in einer "autoritären-Super-EU" sondern in einem Rechtsstaat der wiederum Teil einer rechtsstaatlich organisierten EU ist.

Die EU Kommission hat mittlerweile auf der Ebene Mitgliedsstaat/EU sechs Vertragsverletzungsverfahren gegen europäische Länder - unter anderem Deutschland - wegen Verstoßes gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 43, 49 EG) eingeleitet. Ich bin mir sicher, dass das Verfahren gegen Deutschland mit einer Niederlage Deutschlands enden wird. Auf der Ebene Bürger/Mitgliedstaat müssen private Anbieter zunächst den deutschen Instanzenzug ausschöpfen - und das kann dauern. Als weitere Möglichkeit bietet sich der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (EGMR). Hier können Privatpersonen aber auch Unternehmen bei einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention Individualbeschwerde einlegen. Auch dies ist aber erst möglich nach Durchlaufen des nationalen Instanzenzuges.

pressetext: Könnte das Beispiel Deutschland in Europa Schule machen bzw. umgekehrt, kann eine liberalere Einstellung zu (Sport-)Wetten in Deutschland Einzug finden?
Graef: Das EU-Recht räumt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessenspielraum für die Ausgestaltung des Glücksspiels und von Sportwetten ein. Insoweit kann und wird es unterschiedlich strenge Lösungen der einzelnen Länder geben - sie haben sich jedoch alle an den Vorgaben der europarechtlich garantierten Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu orientieren.

Die Liberalisierung der Sportwetten ist nicht aufzuhalten. Ich bin der Auffassung, dass aufgehört werden muss mit dem Vorschieben von sachfremden Argumenten seitens der verschiedenen Interessengruppen, insbesondere der Lobbyisten auf Länderebene und bei den Sportverbänden. Die vom BverfG postulierten Ziele - Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht und die Begrenzung der Wettleidenschaft, Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften und Abwehr von Gefahren aus der mit den Sportwetten verbundenen Begleitkriminalität - lassen sich auch ohne ein staatliches Wettmonopol erreichen.

Das Beispiel England - wo es staatliche Lizenzen für private Anbieter und eine zentrale Aufsichtsbehörde gibt - zeigt, dass man unter Einhaltung ordnungspolitischer Maßnahmen sowohl zusätzliche Einnahmen generieren als auch zusätzliche Arbeitsplätze schaffen kann. Die Registrierung von Kundendaten, die Identifikation der Spieler bei der Auszahlung von Wettgewinnen, die Nachverfolgung von Zahlungsströmen durch Bekanntgabe der Bankverbindung, der Ausschluss von Insidern und das Setzen von Einzahlungslimits für Spieler und Wettlimits pro Wette sind viel effektivere Maßnahmen als die Einsetzung staatlicher Suchtbeauftragter oder der reglementierte Zugang zur "Droge" Sportwette über staatliche Anbieter.

pressetext: Danke für das Interview!

(Ende)
Aussender: pressetext.deutschland
Ansprechpartner: Michael Fiala
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