pte20080130025 Umwelt/Energie, Forschung/Entwicklung

Der Nacktmull kennt keinen Schmerz

Afrikanischer Zwergsäuger gibt Einblick in Humanmedizin


Der Nacktmull kennt keinen Schmerz (Foto: Ewan Smith/MDC)
Der Nacktmull kennt keinen Schmerz (Foto: Ewan Smith/MDC)

Berlin (pte025/30.01.2008/13:55) Ein internationales Forscherteam vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) http://www.mdc-berlin.de und von der University of Illinois in Chicago (UIC) http://www.uic.edu hat entdeckt, dass der Afrikanische Nacktmull (Heterocephalus glaber) fast komplett schmerzunempfindlich ist. Die Forscher haben in verschiedenen Versuchen mit dem Säugetier diese Schmerzunempfindlichkeit genauer untersucht. Die Erkenntnisse sollen auch für die Humanmedizin von Bedeutung sein, berichten die Forscher in Wissenschaftsmagazin PloS Biology.

Das 15 Zentimeter große, fast unbehaarte Nagetier lebt eng gedrängt mit seinen Artgenossen in unterirdischen, stickigen Höhlen in den Halbwüsten Ostafrikas und weist einige Besonderheiten auf. Dazu gehört etwa, dass Säuren, die im Normalfall starke, schmerzhafte Verätzungen verursachen, dem einzigen wechselwarmen Säuger nichts anhaben können. "Das ist für Wirbeltiere absolut einzigartig", so Studienautor Gary Lewin vom MDC gegenüber pressetext. "In vielerlei Hinsicht ist der Nacktmull, dessen spezielle Eigenschaften sich im Laufe der Evolution ausgebildet haben, auch für die Humanmedizin von Bedeutung." Gerade die Säureempfindlichkeit spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung von Entzündungen. "Da sich der Nacktmull und die Maus genetisch zu 97 Prozent ähnlich sind, kann man leicht herausfinden, welche Mechanismen beim Mull im Laufe der Evolution ausgeschaltet wurden", führt der Forscher aus.

In früheren Arbeiten konnte Thomas Park von der UIC nachweisen, dass Afrikanische Nacktmulle zwei Botenstoffe, die Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten, nicht bilden können. Doch lässt sich das mangelnde Schmerzverhalten der Tiere nicht allein durch das Fehlen dieser Signalstoffe erklären, wie die Forscher heute wissen. Die Nager sind nämlich, wie alle Wirbeltiere, mit Schmerzfühlern ausgestattet. "Wir haben entdeckt, dass die Schmerzfühler in der Haut der Nacktmullen überhaupt nicht aktiviert werden, wenn sie mit Säure in Kontakt kommen. Auch dann nicht, wenn sie einen pH-Wert von unter 3,5 hat, was der stärksten Säure entspricht, die Chemiker in einem Labor einsetzen", so der Forscher.

Doch nicht nur gegenüber Säure, sondern auch gegenüber der Substanz, die Chilipfeffer scharf macht - dem so genannten Capsaicin - ist der Nager unempfindlich. Allerdings konnten die Wissenschaftler hier nachweisen, dass bei den Nacktmullen die auf Capsaicin reagierenden Schmerzfühler andere Regionen im Gehirn aktivieren als bei "normalen" Säugetieren, die über die gleichen Schmerzsensoren verfügen. "Wir vermuten, dass die Information Schmerz bei den Nacktmullen entweder ins Leere läuft oder möglicherweise angenehme Gefühle weckt", so Lewin.

Die Forscher vermuten, dass die extremen Lebensbedingungen die Tiere im Laufe der Evolution unempfindlich gegen Schmerzen gemacht haben. "Eine weitere Besonderheit ist auch die hohe CO2-Toleranz der Tiere, die in unterirdischen Kolonien mit bis zu 300 Artgenossen zusammenleben", erklärt Lewin. Ein hoher Kohlendioxidgehalt führe zu einer Daueraktivierung von Schmerzsensoren. Ein Mensch könne in einer solchen Umgebung kaum überleben. "Nacktmulle haben ihren Staat ähnlich wie Bienen organisiert und sind, trotzdem sie die einzigen Überlebenden aus ihrer Familie sind, sehr erfolgreich. Während Mäuse eine natürliche Lebenserwartung von etwa zwei Jahren haben, können Nacktmulle 25 Jahre alt werden", führt Lewin aus. Sie trinken nicht und ernähren sich nur von Knollen und sind außerdem die einzig bekannten wechselwarmen Säugetiere. "Ich bezeichne den Nacktmull in meinen Vorlesungen als extremophiles Säugetier."

Lewin will gemeinsam mit Park nun auch die molekularen und zellulären Mechanismen für die Schmerzunempfindlichkeit der Nacktmullen erforschen. "Wir hoffen, dadurch auch Einblick in die normale Schmerzwahrnehmung von Säugetieren und damit des Menschen zu gewinnen", erklärt der Forscher abschließend gegenüber pressetext.

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