pte20080902004 Unternehmen/Wirtschaft, Politik/Recht

Ende des Investitionsbooms treibt Estland in die Rezession

Inflationshöhepunkt erreicht - Konsumflaute bleibt weiter dramatisch


Estland steckt tief in einer Krise (Foto: pixelio.de, Daria Flack)
Estland steckt tief in einer Krise (Foto: pixelio.de, Daria Flack)

Tallinn/Wien (pte004/02.09.2008/06:10) Estland steuert auf eine Rezession zu. Der ehemals gefeierte Superstar der aufstrebenden Staaten Osteuropas hat das Platzen der Immobilienblase wie kein zweiter baltischer Staat zu spüren bekommen. Dies zeigt sich darin, dass der Transaktionswert von Grundstücken im zweiten Quartal 2008 über 40 Prozent einbrach. Dabei machte die Krise selbst vor den teuersten Wohnlagen des Landes nicht halt. Ein Indiz für den sich abschwächenden Boom zeigt sich im Bruttoinlandsprodukt, das gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,4 Prozent schrumpfte. 2007 hatte Estland noch mit sieben Prozent Wirtschaftswachstum abgeschlossen. Da die Bauwirtschaft am Boden liegt, die Inflation bereits über elf Prozent beträgt und der Konsum schwächelt, kritisieren Experten vor allem die Wirtschaftspolitik der 1990er-Jahre.

"Der Boom in Estland ist zumindest vorläufig vorbei, schließlich ist das Land recht stark von der weltweiten Bankenkrise betroffen. Bedenkt man, dass das Wirtschaftswachstum vor einem Jahr noch zweistellige Wachstumsraten aufgewiesen hat, ist dies ein beeindruckendes Wachstumsgefälle", so UniCredit-Analyst Hans Holzhacker im Gespräch mit pressetext. Laut dem Fachmann sei frühestens ab 2010 mit einer Erholung zu rechnen. Trotz der in den 1990er-Jahren gestarteten Aufholjagd gegenüber den übrigen EU-Staaten geraten die von der estnischen Regierung durchgesetzten marktradikalen Methoden nun unter Beschuss. Obwohl Estland in kürzester Zeit nach dem Vorbild Finnlands den Geldverkehr computerisierte sowie die Verwaltung und Wahlen auf das Internet umstellte, befindet sich das Land in einer Krise.

Die westliche Kritik richtet sich dabei vor allem gegen die Wirtschaftspolitik des Landes, das mit seiner Internetprägung auf den Namen "E-Stonia" setzt. Um die Wachstumsraten der vergangenen Jahre beizubehalten und Investoren anzulocken, wurden Kündigungsfristen auf bis zu vier Wochen verkürzt und das Einkommenssteuersystem auf einen einheitlichen Satz von gegenwärtig 22 Prozent vereinfacht. Experten kritisieren vor allem, dass auf diese radikale Weise zwar enorme Investitionen in das Land geholt wurden, diese Liberalisierung jedoch zulasten einer strategischen Industriepolitik ging. "Wir waren besoffen von unserem Erfolg und dachten, es geht ewig weiter so", wird der estnische Universitätsprofessor Rainer Kattel zitiert. Zwar kauften Banken Immobilien, die so ausgelöste Konsumfreudigkeit war jedoch nur auf Pump.

Diese Einschätzung scheint sich darin zu bestätigen, dass Estland nun Substanz fehlt, die sich in der geringen Produktionsleistung und dem schwachen Export widerspiegelt. "Das ist ein generelles Problem, mit dem viele Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu kämpfen haben. Positiv ist jedoch, dass Estland den Inflationsgipfel bereits erreicht hat und der langfristige Trend wieder nach oben zeigt", unterstreicht Holzhacker auf Nachfrage von pressetext. Dem Fachmann nach sollte auch mitberücksichtigt werden, dass estnische Arbeitskräfte schon lange nicht mehr billig sind. Dem Bericht nach wuchsen die Löhne in einigen Bereichen in den vergangenen drei Jahren um bis zu 30 Prozent stark. Investitionen in den Bildungsbereich werden von vielen Experten gefordert, damit qualifizierte Arbeitskräfte an den einheimischen Universitäten hervorgehen. Dies sei sinnvoller, als auf ausländische Investitionen zu setzen.

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